Nachstehend moechte ich in Kuerze die von mir persoenlich erlittenen Leiden und Erlebnisse
berichten, um meinen Antrag zu begruenden und zu unterstuetzen.
Die naeheren Unterlagen wegen meiner Inhaftierung und Folgen in Dachau, wo ich vom 10. November 1938 bis zum
15. Maerz 1939 war, liegen dem KZ Verband in Wien vor. Die in Dachau an mir vorgenommene Operation, Entfernung der rechten Hode, war
erforderlich nach Erfrieren des Unterleibes. Die Operation wurde schlecht ausgefuehrt.
Nachdem ich dann am 15. Maerz 1939 nach Wien zurueckkam, musste ich
in das Rothschild Krankenhaus
gehen, um eine zweite Operation zu haben. Ich verblieb dort als Patient etwa 7 Wochen.
Zwecks Nachbehandlung hatte ich drei Mal woechentlich zum Arzt
zu gehen. Ausserdem musste ich drei Mal woechentlich zur polizeilichen Meldung gehen, das Revier war in der Floridsdorferbruecke. Trotz
meiner Erklaerung, dass ich krank und schwach sei, durfte ich nicht die Strassenbahn
benutzen und musste die anstrengenden Wege zu Fuss machen. Natuerlich wurde mein
Krankheitszustand, verbunden mit schlechter Ernaehrung und Aufregungen nicht besser.
Am 28. Oktober 1939 wurde ich mit dem zweiten Transport von Wien nach Nisko am
San
Polen
auf Befehl der Gestapo verschickt. Als Handwerker hatten wir die Werkzeuge mitzunehmen und
die bewilligten DM 300.00 wurden in wertlose polnische Zloty umgetauscht. Reisepass, Ausweispapiere und die geringen persoenlichen Habseligkeiten wurden uns
abgenommen. Dieselbe grausame Behandlung wie auf dem Transport nach Dachau war noch schlimmer fuer mich wegen meines geschwaechten
Krankheitszustandes. Nach Ankunft in Nisko mussten wir in
stroemendem Regen etwa 4-5 Stunden im Freien warten und dann den Weg zum Lager,
etwa 5 Meilen, vollkommen durchnaesst, zu Fuss gehen. Im Lager
angekommen, wurden wir in eine Baracke eingeschlossen, in der das Wasser fast 10 cm hoch am
Boden stand. Erst am naechsten Morgen wurden wir eingeteilt. Ich als Sattler kam in die
Sattlerwerkstaette, wo man fuer die gestohlenen Pferde Halfter und Gurte zu machen hatte.
Die Pferde wurden nach Deutschland verschickt, angeblich fuer das dortige Militaer. Nachdem wir vier Wochen dort waren, waren weder Pferde noch Material
mehr vorhanden.
Mit einer Anzahl anderer Leute wurde auch ich auf Befehl der S.S., die die
Aufsicht des Lagers war, ohne Werkzeug oder extra Kleidung verjagt. Als
Begleitworte wurde uns gesagt "Wehe Euch Saujuden, wenn Ihr es wagen werdet, ueber die San
Bruecke zu gehen, Ihr kommt nicht lebendig auf die andere Seite."
Wir wanderten also ziellos durch einen Wald und waren gluecklich, in ein Dorf zu gelangen;
alle waren wir von Hunger und Durst gepeinigt. Einige der Dorf-Bewohner waren mitleidig
genug, uns etwas Milch und Kartoffeln zu geben. Gegen Mittag erschien eine Militaer-Abteilung unter Aufsicht eines Hauptmannes und wir erhielten den strengen
Befehl, bis um 6 Uhr abends aus dem Dorf zu verschwinden. Wir versuchten es drei Mal, den
San zu ueberqueren, wurden aber immer von den Russen, die dort am Grenzdienst waren, erwischt. Endlich bei Nacht gelang es uns,
die Grenze
zu ueberschreiten. So kamen wir in vollkommen durchnaessten Kleidern und beinahe
verhungert im russischen
Gebiet an. Das russische
Militaer
verhaftete uns, in unserem miserablen Zustand mussten wir etwa 4 Meilen bis zur
naechsten Ortschaft marschieren. Dort wurden wir natuerlich in Haft
genommen. Man hielt uns in einer Zelle drei Tage lang ohne jegliches Verhoer. Wir erhielten
zwar Verpflegung, die aber so gering und ausserdem so schlecht war, dass nur der Hunger
uns zwang, etwas zu geniessen. Nach drei Tagen, noch immer ohne Verhoer, entliess man uns
und wir machten uns wieder auf den Weg, gelangten schliesslich in eine Stadt, deren Namen
ich vergessen habe. Die dortigen juedischen Einwohner halfen uns mit Essen,
Waesche, Schuhen und menschlicher Guete. Bei Schnee und Regen marschierten wir dann nach
zwei Tagen zur naechsten Bahnstation und waren gluecklich, dass um 5 Uhr morgens uns ein Zug
nach Lemberg nahm.
Mittellos, hungrig, koerperlich und seelisch krank wurden wir dort von der Polizei in eine Militaerkaserne gebracht. Man gab uns Essen
und einen duennen Strohsack auf dem Boden zu schlafen. Am naechsten Morgen wurden wir
angewiesen, fuer die Kuechen Holz zu zerkleinern, hatten dann aber wenigstens fuer die
ersten Tage Essen und einen Platz zum Schlafen. Wir konnten uns und unsere
Waesche waschen. Damit verging der Monat Januar 1940. Freunde,
die schon mit dem ersten Nisko-Transport kamen und sich im Ort besser auskannten, halfen mir, in
einer Schuhfabrik Arbeit zu finden und ich fand auch einen Schlafplatz in einer
Tanzschule, auf dem Fussboden. Als Gegenleistung musste ich den Saal und die Nebenraeume
reinigen. Das hielt an durch Februar und Maerz 1940. Nachdem aber die Russen herausfanden, dass ich oesterreichischer
Fluechtling, weder Pole noch
Russen war und mich weigerte, einen
russischen Arbeitspass anzunehmen, wurde ich gezwungen, den Arbeitsplatz sofort zu verlassen. Bezahlungsberechnung war nur auf dem Papier,
denn der Verdienst wurde angerechnet fuer Essen, etc. Nun kam fuer mich die schlechteste
Zeit meines Lebens. Ich musste um ein Stueckchen Brot
oder einen Loeffel warmen Essens im wahrsten Sinne des Wortes betteln. Taeglich musste ich
mich bei der NKWD melden, wo man mich zwingen wollte, einen russischen
Arbeitspass zu nehmen, womit sie das Recht haetten, mich an irgendeinen beliebigen Platz in
Russland zwecks Arbeit
zu verschicken. Ich weigerte mich, da ich hoffte, dass das Nazi-Regime eines Tages zusammenbrechen musste, und dass ich dann von Lemberg leichter nach
Wien
zurueckkommen koennte. Leider hatte ich die Rechnung ohne die NKWD gemacht. Ende
Juni 1940, nachts, wurde ich von der NKWD geholt und
wurde mit allen meinen geringen Habseligkeiten auf die Polizei genommen. Ich wurde einem Gefangenentransport zugeteilt und auf den Bahnhof in Lemberg geschafft; nach zwei
Tage Warten fuhr der Zug endlich ab, bestehend aus Maennern, Frauen, Kindern, Menschen jeden Alters, jeder Rasse, zu einem uns unbekanntem Ziel. Wir
hatten in dem Waggon weder Wasser noch Essen.
Gegend Abend oeffnete die NKWD die fest
verschlossenen Waggontueren. Wir waren in Kiew. Man gab uns etwas warmes
Essen und Brot. Am naechsten Morgen wurden die Tueren wieder fest verschlossen
und der Zug hielt nur ab und zu, um den Insassen Gelegenheit zu geben, ihre Notdurft zu
verrichten. Unter solchen Umstaenden waren wir sechs Wochen unterwegs, bis wir Nowa Sibirsk
erreichten. Damit wurde uns bewusst, dass man uns nach Sibirien verschickt hatte.
Nach weiteren 5 Tagen kamen wir nach Tinda, wo man uns in einem
Barackenlager unterbrachte. Dann wurden etwa 1200 Menschen mit Autokolonne nach
Stalins Oblas Aldan,
Jakutska Republik gebracht und in einem Wald abgesetzt, in dem unfertige Baracken standen.
Mit Hilfe von Russen, die auch nach
dort verschickt waren, hatten wir zuerst 8 Baracken wohnbar zu machen. Eine Kommission
teilte uns in die Baracken ein, man gab uns Lebensmittel, durften die Baracken aber nicht verlassen, der Wald wurde staendig
von Russen bewacht. Auch ich wurde als
Arbeitsfeiger eingeteilt und dann fing Anfang September 1940 der
sibirische
Winter an. Da ich weder Winterkleidung hatte, noch sonst den koerperlichen Anstrengungen
gewachsen war, brach ich im Januar 1941 vollkommen zusammen.
Vorher hatte ich unter anderem schwere koerperliche Arbeit
wie Holzhacken, Baeume faellen etc. zu tun. Ich wurde in ein Hospital in Stalins Oblast Aldan gebracht. Dort wurde
ich einer Invaliden-Kommission vorgestellt und man fand mich nur zu leichter Arbeit
tauglich. Auf Befehl der NKWD wurde ich als
Helfer in das Invalidenhaus 2, Grotschon Oblas Aldan verschickt. Hier hatte
ich die verschiedensten Arbeiten auszufuehren bis Ende 1945, ohne
jede Bezahlung, alles unter Aufsicht der NKWD. Ich durfte
den Ort nicht ohne Erlaubnis verlassen, nur in Begleitung der Verwalterin, zum Proviant holen.
Nach 5 Jahre Sibirien, ohne Verhoer, war ich im Jahre 1945 frei
und es wurde mir angeboten, gegen Bezahlung als freier Mensch zu verbleiben. Natuerlich zog
ich es vor, nach Wien zurueckzukehren. Nach einer grausig schweren und ueberaus qualvollen
Reise durch Russland und Polen kam ich am
25. Juli 1946 in Wien an, natuerlich ohne
einen Schilling in der Tasche. In Wien war es unter den
herrschenden Umstaenden natuerlich absolut unmoeglich, irgendeine Arbeit
zu finden, auch erlaubte mein Gesundheitszustand nicht schwere koerperliche Arbeit
auszufuehren. Ich ersuchte den Sattler-Verband um Zuweisung einer Arbeit
ebenfalls. Dann entschloss ich mich, die mir gebotene Gelegenheit zu nehmen und
auszuwandern.